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229/2016 - Drachen über Delhi


Es gehört zur Tradition in Indien, am und um den Unabhängigkeitstag Drachen steigen zu lassen. In den Tagen vor dem Ereignis werden die Drachen und das nötige Zubehör (Schnur und Spindel) von Strassenverkäufern angeboten.

Es ist faszinierend, über der dichten bebauten Stadt, oder mitten über dem Verkehrsgewusel umherschnurrende Drachen am Himmel zu sehen. 

Mir wurde als Kind zu Hause und in der Schule immer wieder mahnend klar gemacht, dass man beim Drachensteigen obacht walten lassen sollte. (Mit erhobenem Zeigefinger und stirngerunzeltem Gesicht.) "Nicht in der Nähe von Stromleitungen." "Nie bei Gewitter." "Nicht in der Nähe von Straßen, Bahnanlagen oder Flughäfen."  Schulterzuckend nahm ich es damals als Kind hin, das Drachensteigen offensichtlich eine fast zwangsläufig mörderische Freizeitbeschäftigung für Kinder sein musste. Und ich hielt mich von Flughäfen und Hochspannungsleitungen fern, was im wilden Präriedreieck der Nordheide zwischen Buxtehude, Winsen und Soltau nicht weiter schwer war. 

Und nun spannen sich in Delhi Drachenschnüre quer über Schnellstraßen. Einzelne Motorradfahrer oder ganze Familien auf Motorrollern werden von Drachenschnüren bei voller Fahrt stranguliert, geköpft, oder beides. Vertüdelte Schnurknäule hängen im Kabelwirrwarr aus Strom- und Telefonkabeln über der Strasse. Die in Armlänge über der Stadt heranfliegenden Passagierflugzeuge saugen mit ihren Triebwerken die restlichen Drachen aus der Stadt. Die Spindeln an den Schnüren schleudern wie Kugelblitze durch die Strassen und durchtrennen mühelos Bäume, Straßenlaternen und Gliedmassen.

Dennoch bleibt Drachensteigen beliebt. Tradition geht vor Sicherheit.

Foto: Zwei Gefahrensucher beim halsbrecherischen Drachensteigen in Süd-Delhi. 

Nachtrag: Heute im Büro von Kollegen erfahren, dass in den letzten Tagen mehrere hässliche Drachenschnurunfälle mit Todesfolge in Delhi passiert sind.