Grußbotschaft des scheidenden Oberstadtbaurats Georg Jahnsen an den Bauausschuss der Stadt Heide am 23.2.2016 in der VR Bank Heide:
Die Erfolgsgeschichte der Stadt Heide als Kreisstadt und Mittelzentrum, ist die Erfolgsgeschichte der Heider Kerninnenstadt und es ist damit ursächlich die Erfolgsgeschichte des Heider Marktplatzes. Dinge, die wir gesamtstädtisch tun, haben Effekt auf diesen inneren Bereich. Sie verändern positiv wie negativ nachhaltig und direkt nicht nur den Ort, sondern auch unser Selbstverständnis, unser Herz und die Seele unserer Stadt.
Ich möchte auf den letzten Metern meiner 3-jährigen Tätigkeit als Bauamtsleiter der Stadt Heide abschließend zu diesem Thema reflektieren. Einem Thema, von dem ich ooimmer gespürt habe, dass es auch in diesem Gremium immer einen hohen Stellenwert genossen hat, und oft auch einen hohen Grad an Einigkeit. Für den positiven Fortgang der Stadtentwicklung der Stadt Heide und auch der Region haben der Markplatz und die Innenstadt eine enorme Bedeutung und Schlüsselfunktion. Darüber mussten wir uns eigentlich hier nie neu verständigen, weil es immer klar war und ist. Es ist die Kernfrage nach dem Warum?
Warum tun wir Dinge, warum engagieren wir uns, warum geben wir für etwas Geld aus, warum entscheiden wir uns für Qualität. Bei jeder Art von Entscheidungsfindung oder Projektmanagement einer größeren Gruppe ist Einigkeit in dieser Kernfrage - WARUM - am Wichtigsten. Und es ist diese Frage von den dreien, die auch am Schwierigsten zu beantworten ist. Daraus leitet sich dann alles weitere ab - das WIE und das WAS wir tun.
Was hängt für den Heider Marktplatz an diesem Warum? Ich spüre, dass jeder Akteur in Heide eine vage eigene Meinung dazu hat, warum dieser Ort so wichtig ist. Ich spüre, das alle glauben es sei doch klar. Und doch ist es das nicht - bzw. es erfordert einen ständigen Austausch darüber, ein ständiges Erneuern und Herausarbeiten, was das WARUM dieses Ortes, sein inneres Feuer ausmacht. Mir ist es ein großes Bedürfnis, am Ende meiner Zeit hier, zu diesem Austausch, zu diesem Kern unserer und Ihrer Identität einen Beitrag zu leisten. Erneut zu begründen und zu stärken, was das WARUM für den Heider Marktplatz ausmacht.
Ich werde dies tun, indem ich die stadtbaugeschichtliche Bedeutung des Platzes erläutere. Und ich werde exemplarisch aufzeigen, wie sich zwei Einzelmaßnahmen (zwei WAS), einzelne stadträumliche Entscheidungen, die wir getroffen haben, oder noch treffen müssen, in diese große Linie des WARUM eingliedern, oder eben nicht eingliedern. Es ist die Frage nach der permanenten Parkplatznutzung auf der gesamten Marktplatzfläche, und es ist die Frage nach einem zukünftigen Rathausstandort.
Lassen Sie uns zunächst die stadtbaugeschichtliche Entwicklung dieses Ortes rekapitulieren. Die angesprochene Erfolgsgeschichte des Heider Marktplatzes ist mehrere hundert Jahre alt. Und sie beginnt wie an vielen anderen Stellen im Europa des 14. Jahrhunderts zunächst mit der Kreuzung zweier Wege.
An diesem Schnittpunkt zweier übergeordneter Wege treffen sich Menschen. Menschen, die sich vielleicht noch gar nicht kennen. Das Interesse an Neuem und am Fremden lockt und weckt Neugier. Kommunikation und Interaktion finden statt. Informationen und Waren werden ausgetauscht. Aus der Gleichzeitigkeit vieler Menschlicher Handlungen an einem Ort, entstehen Überlagerungen, Zufälle - manch unglaubliche Geschichte.
Mit der Zeit gewinnt dieser Ort wegen seiner Zentralität an Bedeutung und weitere Elemente kommen hinzu, und stärken und etablieren den Ort als Treffpunkt und Zentrum. Waren brauchen Platz für die Lagerung, Gebäude entstehen, Händler und Handwerker lassen sich nieder. Alles möglichst nah an der Keimzelle der Kreuzung - am Ort des Geschehens. Zudem wird dieser Ort - ich zitiere - “Mittelpunkt einer langfristig funktionierenden spätmittelalterlichen bäuerlichen Selbstverwaltung, die in der historischen Erinnerungskultur Deutschlands einmalig ist.” - wie es der Kenner der Dithmarscher Geschichte Klaus Alberts ausdrückt.
Und dann folgen die großen und wichtigen Einrichtungen als Zeichen und Ausdruck von Gemeinschaft, Selbstwert und Macht. Aus der Kreuzung ist ein umbauter Platz geworden an den sich unmittelbar und von Anfang an selbstverständlich die Kirche und das Rathaus angliedern.
Diese Einrichtungen der Gemeinschaft stärken räumlich und in der Bedeutung den zentralen Bereich und sie manifestieren und zementieren die Existenz und den Anspruch des urbanen Ortes in der Landschaft.
Dies ist die Geburtsstunde der Stadt mit der Bürgergesellschft und verbunden mit dem Klaren Anspruch der Abgrenzung zur umgebenden Landschaft - dies räumlich und soziologisch-gesellschaftlich gesprochen. Bürger-schaft und Land-schaft.
In der Folge siedeln sich viele weitere zentrumswichtige Nutzungen und Akteure an diesen Raum an. Öffentliche und halböffentliche Einrichtungen, Geschäfte und Händler, Handwerker und Banken, Dienstleister, Büros und Praxen sowie Restaurants und Kneipen. Jeder dieser Akteure oder Einrichtungen erhebt den Anpruch der Wichtigkeit und Bedeutung im stadtweiten und regionalen Kontext. Und jeder dieser Akteure verbindet unmittelbar diesen Anspruch mit der zwingenden Notwendigkeit der direkten räumlichen Präsenz am Marktplatz. Im Zentrum der Stadt Heide. Dem Zentrum der Region.
Und diese Präsenz bezieht sich dabei klar auf die Hauptfunktion in ihrer Gänze. Die Geldinstitute haben ihre zentrale Hauptfiliale mit allen Funktionen am Markt. Ebenso agieren die großen Einzelhändler, wichtige Dienstleiter und andere Akteure.
Diese Logik hat in den vergangenen Jahrzehnten eine Wendung erfahren. Die Fliehkräfte der autogerechten Stadt nach nordamerikanischem Vorbild, haben immer mehr wichtige Funktionen an den Stadtrand geschleudert. Dies höhlt die Idee der europäischen Stadt aus. Es hintergeht den Gedanken und die Grundidee des zentralen öffentlichen Raumes als Identifikationsort der Gemeinschaft. Es schwächt die Stadt und die Bürgergesellschaft und stärkt vordergründig im Umkehrschluss die Bedeutung der Landschaft und der kleinen Gemeinden im regionalen Gefüge. Die Wohnbaulandaktivitäten und auch die Dimension der Gewerebeansiedlungen im Heider Umland belegen dies heute deutlich. Auf lange Sicht und bei genauerer Betrachtung des regionalen Gefüges wird jedoch durch einen geschwächten Zentralort innerhalb der Region auch die Region als Ganze geschwächt.
Doch der Trend ist im Begriff sich wieder umzukehren. Die Renaissance der Stadt hat eingesetzt. Die Attraktivität und die Bedeutung der Stadt Heide steigt in den letzten Jahre deutlich. Dies ist statistisch nachweisbar. Und dies ist auch räumlich und morphologisch direkt in der Innenstadt sichtbar.
Die Renaissance, die Wiedergeburt der Stadt Heide hat eingesetzt und ist auf dem Weg, die vorgenannten Fehlentwicklungen zu revidieren. Dies lässt sich eindrucksvoll an 4 Beispielen ablesen:
1.) Die Renovierung und Instandsetzung bestehener Immobilien in der Heider Kerninnenstadt läuft auf Hochtouren. Trotz des finanziellen Aufwands im Vergleich zu einem Neubau auf der grünen Wiese, und trotz der zum Teil schwierigen beengten innerstädtischen Situation, kommen die privaten Akteure zurück in die Stadt und werten bestehende Immobilien im Geiste der historischen Innenstadt auf.
2.) Neue Architekturen entstehen in zum Teil für Heide erheblichen Dimensionen.
3.) Events locken tausende Besucher in das Herz der Kreisstadt und sorgen für überregionale Bekanntheit und Attraktivität. Märkte, Jahrmärkte, Sommerstrand in der Stadt auf dem Marktplatz, Der große Heider Weihnachtsmarkt auf dem größten Marktplatz Deutschlands,
Das Megaevent und Heider Sommermärchen “Herbert Grönemeyer” mit über 18.000 Menschen in der Innenstadt, BW Musix, Dithmarscher Kohltage, Heider Marktfrieden. usw. usw.
Diese Events verändern den Blick der Menschen auf die eigene Stadt zum Positiven.
4.) Von all dem Vorgenannten profitiert der lokale Einzelhandel. Mit Menschen belebte Stadträume sind die Folge. Das Zentrum der Stadt wird intensiv genutzt und auf vielfältige Weise genossen.
Die Menschen der Stadt fühlen sich an frühere Zeiten erinnert, in denen das Zentrum der Stadt Heide eine ähnliche Belebung und Anziehung hatte wie heute.
Die Stadt Heide wird klar aufgefordert, diesen eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen. “Macht mehr Events auf dem Marktplatz”. “Holt die Menschen in die Innenstadt” sind oft gehörte Sätze an unsere Adresse gerichtet.
Dieser für Heide durchweg positive Effekt ist nur eingetreten, und er funktioniert auschließlich, weil die öffentlichen und privaten Akteure den zentralen Raum der Stadt als Identifikationsort der Gemeinschaft durch ihre unmittelbare und vollständige Präsenz nutzen und stärken.
“Bedeutung durch Präsenz”: Jeder einzelne Akteur, der sich für die Präsenz in der Innenstadt entscheidet, trägt dieses große Ziel mit: hier ist der Ort für mein Unternehmen. Hier möchte ich in Gänze von der Gemeinschaft gesehen werden. Und diese Entscheidung macht keiner der Akteure halbherzig. “Ganz oder gar nicht” lautet die Devise. Ich benenne mal einige fiktive Beispiele, wie es eben nicht funktioniert:
Stellen Sie sich vor: die Raiffeisenbank hätte am Marktplatz nur ein Servicecenter mit einigen Geldautomaten errichtet und die Hauptfiliale wäre in der Schanzenstraße bei Mediamarkt.
Stellen Sie sich vor: der Marktpirat hätte in der Innenstadt nur einen kleinen Bistro und das eigentliche Restaurant wäre am Fritz Tiedmann Ring neben Burger King.
Stellen Sie sich vor: Herbert Grönemeyer hätte im Sommer 2015 auf der Heider Rennbahn am Stadtrand sein Konzert gegeben.
Nein: Die genannten Akteure und viele weitere mehr, haben die Frage nach der Notwendigkeit der Zentralität klar und eindeutig für sich positiv beantwortet. Und Ihre jeweilige Entscheidung für das Zentrum hat sich klar positiv ausgezahlt - auch monetär.
“Bedeutung durch Präsenz” - die privaten Akteure machen vor, wie ihr Beitrag am zentralen Ort eine wechselseitige Win-Win Situation erzeugt. Und nun steht auch die Stadt Heide nach Jahrhunderten der nie ernsthaft in Frage gestellten Präsenz in der Innenstadt vor der Frage, ob es überhaupt eine ernsthafte Option sein kann diesen Raum mit dem Rathaus zu verlassen. Wollen wir wirklich der Innenstadt den Rücken kehren, und den Stadtrand stärken? Wollen wir dem zentralen Identifikationsort der Region, der über Jahrhunderte gewachsen ist und Sinnbild unserer Stärke und unseres Ansehens ist, die kalte Schulter zeigen? Wollen wir halbherzig nur einige wenige Funktionen in einem “Service Center” in der Innenstadt belassen aber mit dem eigentlichen Rathaus weggehen?
Diese Entscheidung wird die weitere Entwicklungslinie dieses besonderen Ortes entscheidend beeinflussen. Sie hat dramatische Auswirkung auf den lokalen Einzelhandel und das öffentliche Leben in der Innenstadt. Ich appelliere daher hier und jetzt an Sie und an die Stadt Heide diese Entscheidung in einem breiten Diskurs stadtintern öffentlich zu erörtern.
Neben der “Bedeutung durch Präsenz” von zentrumsrelevanten Funktionen in der Innenstadt hat auch die “Freiheit der Fläche” des Marktplatzes Einfluss auf die Qualität und den Fortgang dieses Ortes.
An folgenden Tagen wird der Marktplatz der Stadt Heide im Jahre 2016 frei sein. An diesen Tagen, alles Sonntage, wird auf dem Marktplatz keine definierte Nutzung sein. Keine. Nichts. Es werden dort auch keine Autos stehen. Der Platz ist dann allein eine Fläche, die offen für die Nutzungen ist, die ihr die Bürgerinnen und Bürger der Stadt zukommen lassen. Aus heutiger Sicht ist das eine Besonderheit, über die man reden kann, über die vermutlich in der Presse und in den sozialen Netzwerken rege debattiert werden wird.
Für einen Heider Bürger von vor 100 oder 200 Jahren wäre diese Meldung eine banale Selbstverständlichkeit gewesen. Dass der Heider Marktplatz alltags ohne definierte Nutzung ist, war praktisch immer normale Realität. Erst in den letzten Jahrzehnten haben wir den Platz alltags mit einer ausschließlichen Einzelnutzung belegt, die den vormals nutzungsoffenen Raum radikal in den Nutzungsmöglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger einschränkt. In der jahrhundertealten Geschichte des Marktplatzes ist dies ein Novum: einer einzelnen Aktivität wird quasi ein Exklusivrecht eingeräumt, welches viele andere Aktivitäten ausschließt.
Der Marktplatz war immer frei, und erst in den letzten Jahrzehnten sind wir von diesem Grundsatz abgerückt. Ist das richtig? Sicher: bedenkt man die Bedeutung des Marktplatzes für die Region ist es aus Sicht der Erreichbarkeit in heutiger Zeit wichtig, dass es auch eine gute innerstädtische Parkplatzsituation gibt. Und sicher ist es auch unser aller Lebensstil, der so stark auf das private Auto ausgerichtet ist, dass es nur logisch erscheint, wenn unserer wertvollster Ort in der Stadt diesem gerecht wird. Ist aber diese Ausschliesslichkeit der Nutzung richtig? 100% Parkplätze? Praktisch immer alltags? Bei den anstehenden Neugestaltungen des Marktplatzes, die wir dieses Jahr in den ersten offenen Diskussionsrunden und Workshops in der so genannten Phase 0 beginnen, sollten wir diese und andere Fragen offen mit den Fachleuten, die uns zur Seite stehen, diskutieren.
Ich selber werde diesen Prozess nicht mehr als aktiver Akteur begleiten können. Aber ich wünsche Ihnen bei den anstehenden Diskussionen und Erörterungen, dass Sie in der Frage nach dem WARUM eine große Einigkeit besitzen, und daraus logisch und konsequent die Einzelmaßnahmen ableiten, um den zentralen Identifikationsort “Heider Marktplatz” zu bewahren und zu stärken.
Zum Abschluss möchte ich mich bei Ihnen allen für die gute Zusammenarbeit in den letzten drei Jahren bedanken. Bei der Heider Politik, ganz besonders beim Bauausschuss, dass Sie mich in der Rolle als Berater angenommen und mir bei vielen Entscheidungen vertraut haben. Und ich möchte mich bedanken bei den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt und den vielen zivilgesellschaftlichen Gruppen, die mit Interesse und Engagement den stetigen Prozess der Stadtplanung und Stadtentwicklung mit mir geführt haben, sich eingemischt haben und ihren Beitrag geleistet haben. Ich wünsche Ihnen für die kommenden Themen und Aufgaben, dass Sie sich diesen Geist erhalten. Damit bin ich am Ende meiner Ausführungen und ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Oberstadtbaurat Georg Jahnsen, 23.2.2016































