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Der geschundene Sparletta Morango Kronkorken

Der geschundene Sparletta Morango Kronkorken (unten rechts)

Am Ende waren es einzelne Gegenstände, die noch eine Weile die Geschichten aus vergangener Zeit weiter erzählten. Jene Gegenstände, die nicht nur ihre Zeit überdauert haben, sondern die auch so beschaffen waren, dass sie ihre Zeit widerspiegeln und abbilden konnten. Im optimalen Fall waren sie gleichsam eine Projektionsfläche mit jenem Bild eingebrannt, welches über die Zeit am meisten angesehen wurde.

Das schartige Schwert im Mittelalter-Museum, der wuchtige Pelzmantel, mit dem mein Opa im Winter 45 Ostpreussen den Rücken kehrte, oder das Tee-Service aus dem fernen Finnland von unserer bolivianischen Tante aus langem Familienbesitz sind nur einige Beispiele dieser fast klischeehaften Gattung von Gegenständen.

Ich schaue auf das letzte Jahr zurück und frage mich, welcher Gegenstand die Kraft hätte von dieser vergangenen Zeit zu erzählen? Dieses "Von-einem-Ort-zum-nächsten-Ziehen", über Ländergrenzen und Kontinente hinweg muss doch irgendwo sichtbare Spuren und Greifbares hinterlassen haben?

Bei uns selber hat es das ganz sicher: es ist uns nicht selten unmöglich hier Erlebtes zu betrachten, ohne es mit dem Ähnlichen vom Anderswo - sei es in Mosambik, Indien oder Bolivien - zu vergleichen.

Doch zurück zur Welt der Dinge: welcher Gegenstand wurde durch diese Zeit so geprägt, dass sein Relief unsere Geschichte des letzten Jahres ergibt? Sind es die sperrigen Seekisten vor dem Haus, die gerade so schnell im norddeutschen Nieselregen verrotten? Sicher nicht.

Für den Containerumzug habe ich Jamals Babybett aus massivem Eukalyptusholz ebenso in eine Seekiste umfunktioniert, indem ich alle Seiten mit soliden Holzplatten verkleidet habe. Alleine in diese riesige Kiste haben wir etwa 250 Kilogramm Zeugs geladen. Unter den massiven Kistenboden habe ich vier Kronkorken von Brauseflaschen geschraubt. Warum nur? Vielleicht dachte ich mir, dass es gut sei, wenn Luft unter der Kiste zirkulieren kann? Ich weiss es nicht mehr.

Diese vier Brausekronkorken (zweimal Fanta Ananás, einmal Sparletta Morango (Erdbeere) und einmal Sprite) haben alles mit angesehen, und wurden von jeder Station geprägt und geschliffen. Die salzige Meeresbrise hat sie rosten lassen. In jedem Hafen wurden sie über den rauhen Beton wieder silbern geschrubbt. Stetig drückte das Gewicht der Kiste und weiterer hoch gestapelter Kisten von oben erbarmungslos und unnachgiebig alles in den Boden.

Als ich in Heide das Kinderbett von den Seitenteilen befreie und umdrehe und die abgeschraubten vier wund-geschundenen Kronkorken in meinen Händen halte, erzählen sie mir die ganze Geschichte der vergangenen 365 Tage. Der Schmutz, jede Riefe, jede blank gewetzte Wölbung und jede aberwitzige Deformation weiß ein Detail zu berichten. Alles ist da, in diesen vier kleinen Blechstücken, die so viel mehr erzählen als nur von unserer Reise.