Der Internationale Führerschein, sorgsam ausgestellt vom Straßenverkehrsamt Braunschweig, hielt den kritischen Blicken der indischen Polizisten nicht mehr stand. Ja, er wurde gleichsam zum leichten Vorwand irrwitzige Bußgelder von mir zu kassieren. Fast täglich und ansonsten ohne weitere Gründe und auch auf den zahlreichen Schleichwegen zwischen der Arbeitsstelle und dem zu Hause spürte man mich auf und verhöhnte den deutschen Fetzen Papier. "No Sir, this is no indian driving licence." Autofahren in Mumbai wurde für mich zum Spießrutenlauf.
Der Fall war klar: ein indischer Führerschein musste her. Das Plastikkärtchen mit Foto und Unterschrift stellen die indischen Behörden für 1000 Rupien (15 Euro) aus. Bei der Zahlung weiterer 500 Rupien sogar kurz- bis mittelfristig.
Alles war von meinem "Führerscheinagenten" bereits penibel vorbereitet als wir das riesige Führerscheingelände im Stadtviertel Andheri (4 Millionen Einwohner) betreten. Zu hunderten und dicht gedrängt stehen Schlangen von Führerscheinanwärtern jeden Alters an den zahlreichen kleineren Amtsgebäuden. Der mittige Platz ist unbefestigt und im vorderen Bereich ermahnen zahlreiche verschrottete und ineinander verkeilte Unfall-Motorrickshaws zu vorsichtigem Fahren. Die Ansprechperson meines Agenten begrüßt uns und führt mich an den Schlangen vorbei direkt zum jeweiligen Sachbearbeiter (die 500 Rupien Extrazahlung lohnt sich).
Nachdem meine Fingerabdrücke gescannt und ein Foto mit der Webcam geschossen ist, werde ich in einen Schulungsraum mit Bänken unter freiem Himmel gebracht. Ein großes Plakat zeigt die gängigsten Verkehrsschilder. Hier findet der Verkehrsunterricht statt. Einige dutzend Schüler warten offenbar schon seit Stunden auf den nächsten Unterricht. Es gilt: Ohne Verkehrsunterricht keine Führerscheinprüfung. Ohne Führerscheinprüfung kein Führerschein. Mein Agent tobt und versucht den Offiziellen davon abzubringen, dass ich am Unterricht teilnehmen muss. Nach einiger Zeit haben sie sich auf einen Kompromiss geeinigt: ich muss für 15 Sekunden auf einer der Bänke sitzen und darf dann direkt in den Prüfungsraum gehen. Na geht doch.
Der große Prüfungsraum wird von rohen Betonwänden gefasst. Die verdreckten und vergitterten Scheiben lassen nur wenig Licht herein. Die Akustik gleicht der eines Kellergewölbes. Ein alter Videoprojektor hängt unter der Decke, der sein Bild auf eine große Leinwand an der Stirnseite des Raumes projeziert. 46 kleine Holz-Stehpulte mit je 3 farbigen Knöpfen, die in einer Art Dreifachsteckdose eingelassen sind dienen zum Beantworten der Auswahlfragen, die an die Wand projeziert werden. Mein Pult ist die Nummer 46 in der hintersten Ecke des Raumes. Eine leichte Panik überkommt mich, da ich weder irgendetwas von der in Hindi gehaltenen Einführung des Prüfers verstehe und auch das Projektorbild nur schwer entziffern kann.
Als die Prüfung dann beginnt stellen sich meine Sorgen als unbegründet heraus. Die insgesamt 10 Fragen werden von einer lauten Computerstimme auf Hindi und Englisch vorgelesen. Und man bekommt sogar die korrekten Antworten geliefert: der Prüfer selbst sagt nach jeder Frage kurz, aber überdeutlich, welche Farbtaste man daraufhin zu drücken hat. Die Hälfte der Fragen hat übrigens mit Hupen zu tun.
Mit beeindruckenden 100 Prozent korrekter Antworten bestehe ich die Prüfung und habe nun meinen indischen Führerschein in der Tasche. Nur dumm, daß mich seitdem die Polizei nicht mehr anhält.
Foto: Mein Bedienpult mit den 3 farbigen Knöpfen zum Beantworten der Prüfungsfragen.